Neujahrsbote
Unter dem gleichen Dache, in der gleichen Wohnung, im gleichen vierten Stock wohnten zwei junge Beamte und Kanzleikollegen: Arkadij Iwanowitsch Nefedewitsch und Wassja Schumkow […]
„Wohnt hier der Herr Beamte Schumkow?“ ertönte eine Kinderstimme auf der Treppe. „Hier, Väterchen, hier!“ antwortete Mawra und ließ den Gast eintreten. – „Wer ist da? Wer?“, rief Wassja, von seinem Platz aufspringend und ins Vorzimmer stürzend. „Bist du es, Petinka?“
„Guten Morgen, Wassilij Petrowitsch, habe die Ehre, Ihnen ein glückliches Neues Jahr zu wünschen!“ sagte ein reizender etwa zehnjähriger Bengel mit schwarzen Locken. „Mein Schwesterchen läßt grüßen, Mamachen ebenfalls, und Schwesterchen hat mich beauftragt, Sie von ihr zu küssen …“
Wassja hob den Boten in die Luft und drückte auf seine Lippen, die den Lippen Lisas ungemein ähnlich sahen, einen langen, honigsüßen, leidenschaftlichen Kuß. „Küsse auch du, Arkadij!“ sagte er zu seinem Freund, ihm Petja übergebend; und Petja wanderte, ohne die Erde zu berühren, in die mächtige und wirklich gierige Umarmung Arkadij Iwanowitschs.
„Schwesterchen hat mir zwei Stunden lang die Locken gekämmt und pomadisiert …, dann küßte sie mich halb tot und sagte dabei: ,Geh jetzt zu Wassja, gratuliere ihm zum Neuen Jahr und frage ihn, ob er sich wohl fühlt, ob er gut geschlafen hat …‘ Und dann noch etwas … Ach ja! Ich hätte es beinahe vergessen: Schwesterchen schickt Ihnen ein Brieflein und ein Präsent!“
„Teufel noch einmal! Was das für ein hübscher Knabe ist!“ rief Arkadij Iwanowitsch aus: „Wassja, du bist wirklich der glücklichste der Sterblichen!“ Der Junge trank seinen Tee aus, erhielt einen Brief samt tausend Küssen und ging, glücklich und munter, wie er gekommen war, nach Hause.
(aus: Fjodor Michailowitsch Dostojewski, Ein schwaches Herz – 1848)
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